Wird mit Technologie auch Kultur übernommen ?
Türkei und die islamische Welt diskutieren seit 200 Jahren über die Begriffe Zivilisation, Kultur, Technologie und wie man sich diesen Begriffen nähern sollte. Die Diskussionen um Technologie haben sich in letzter Zeit intensiviert. Es wird auch behauptet, Technologie stehe mit vielen unerwünschten Nebenerscheinungen, wie Kultur, in Verbindung, weshalb man vor Technologie fernbleiben sollte.
Sie hören nun eine Bewertung von Prof. Dr. Kudret BÜLBÜL, dem Dekan der Fakultät für Politische Wissenschaft an der Yıldırım Beyazıt Universität in Ankara.
Was sollte vom Westen übernommen werden?
Zuerst wollen wir anmerken, dass diese Diskussion nicht neu ist und sich nicht nur auf Technologie beschränkt. Die Diskussion ist die Erweiterung der Frage was man vom Westen übernehmen und was man nicht übernehmen sollte. Das Thema wurde in der letzten Epoche des Osmanischen Reichs durch unterschiedliche Schriftsteller mit Begriffen wie materieller Fortschritt-moralischer Fortschritt (Said Halim Pascha), Kultur-Zivilisation (Ziya Gökalp), echte Zivilisation-Industriezivilisation (Celal Nuri) diskutiert.
Der Rahmen der Diskussion wurde von Akifs Gedicht gezeichnet.
“Alınız ilmini garbın alınız sanatını
Veriniz hem de mesainize son süratini
Çünkü kabil değil artık yaşamak bunlarsız
Çünkü milliyeti yok sanatın ilmin yalnız”
“Nimmt die Wissenschaft vom Westen und die Kunst
fügt eure Mühe in Höchstgeschwindigkeit hinzu
ohne dies zu leben sei nicht erlaubt
denn Wissenschaft und Kunst haben kein Volk”
In der konstitutionellen Ära haben türkische Gelehrte, vor allem islamische Gelehrte, sich für die Übernahme der westlichen Wissenschaft ausgesprochen, dabei aber den Verzicht auf westliche Moral- und Wertvorstellungen gefordert.( Für meine diesbezüglichen Meinungen kann man auf meine Artikel “Batıya dair nasıl bir konumlanma” (Welche Haltung gegenüber dem Westen) zurückgreifen.) Später wurden Akif und die anderen dafür kritisiert den Westen nicht ausreichend genug gelesen zu haben. Ich glaube Akif wurde Unrecht getan, denn er hat meiner Meinung nach die unten aufgeführten Kritiken nicht vorhergesehen.
Technologie-Kultur Beziehung
Technologie gibt zweifelsfrei die allgemeine Kultur der Gesellschaft, in der sie produziert wurde, weiter. Kann die künstliche Intelligenztechnologie, die den Menschen neu entwickeln will, unabhängig von der Kultur, wo sie entwickelt wird, betrachtet werden? Ich sage nicht westliche Kultur. Diese Art von Technologien wird nun auch von nichtwestlichen Gesellschaften wie China produziert. Kann die Atombombe, die nicht nur feindliche Heere, sondern auch alle Lebewesen zerstört, unabhängig von dem Gedanken, die sie auf Japan abwarf, betrachtet werden ?
Diesem Verständnis gegenüber kann die Sichtweise von Kanuni Sultan Süleyman als ein unterschiedliches Beispiel einer Technologie- Kultur Beziehung aufgeführt werden. Kanuni stört sich an den Ameisen, die die Bäume im Palastgarten austrocknen. Doch in Anbetracht, dass auch Ameisen Lebewesen sind, wendet er sich mit einem Gedicht an den Scheichülislam, dem islamischen Rechtsobrigen, Ebussuud eEfendi:
“Meyve ağaçlarını sarınca karınca
Zarar var mı karıncayı kırınca”
(Schadet es die Ameisen zu brechen, die die Fruchtbäume plagen)
Ebussuud Efendi antwortet ebenfalls mit einem Gedicht, das wie eine Antwort zu einer unterschiedlichen Technologie-Kultur Beziehung lautet:
“Yarın Hakkın divanına varınca
Süleyman’dan hakkın alır karınca” (Wenn die Ameise morgen vor dem höchsten Gericht steht wird sie ihr Recht von Süleyman beanspruchen)
Zweifelsfrei wird die Technologie, die von beiden Ansichten hergestellt wird, die Menschheit in verschiedene Richtungen führen. Die mit Technologie einhergehende Verfremdung ist ein wichtiges Thema.
Welche Technologie?
Natürlich ist Technologie mit Kultur verflochten, und zu behaupten unterschiedliche Kulturen hätten alle insgesamt schlechte technologische Produkte hergestellt ist eine ausgrenzende, ablehnende Haltung. Jede Kultur stellt ihre technologischen Bedürfnisse her. Was ein Bedarf ist kann natürlich diskutiert werden. Aber man kann nicht sagen, dass die Bedürfnisse der Menschen von Kultur zu Kultur verschieden sind. Deshalb benutzen Menschen aller Kulturen im Alltagsleben ähnliche Technologien. Deshalb können in verschiedenen Kulturen produzierte Technologien nicht mit einer ablehnenden Haltung betrachtet werden. Es ist selbstverständlich, dass wir eine Ansicht im Rahmen unserer Zivilisation- und Kulturcodes vertreten. Die Aussagen wie “Nimmt Wissenschaft auch wenn sie in China ist”, “Weisheit ist das verlorene Eigentum eines Gläubigen”, “Rüstet euch mit den Waffen des Feindes”, “Ein starker Muslim ist besser als ein schwacher” lehren uns gegenüber Technologien aufgeschlossen zu sein und eine proaktive Haltung einzunehmen. Sicher wird die Rüstung mit den Waffen des Feindes einen Muslim nicht dazu verleiten ein anderes Land mit Atombomben anzugreifen, was uns auch die Aufrufer zur Technologieübernahme nicht vorschlagen.
Was wird vorgeschlagen?
Die Technologiegegner liefern uns außer ihrer ablehnenden Haltung keine konkreten Alternativen.
Im Allgemeinen wird die westliche Technologie als eine Verlängerung der westlichen Werte, Philosophie, Wissenschaft betrachtet. Dieser kritische Ansatz erzeugt zweifelsfrei eine bestimmte Hellhörigkeit, was aber im Gegensatz zum Aufruf der Übernahme der Wissenschaft auch aus China eine sehr engstirnige Betrachtung bringt. Diese gesamte Akzeptanz oder Ablehnung kann die Vertreter dieser Idee zu radikalen Standpunkten schleudern. Technologie nicht zu produzieren, Technologie gänzlich abzulehnen kann eine verschlossene, fanatische, gettoisierte Gesellschaft formen. Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die weniger Technologie und mehr muslimisches Leben mit entsprechender Technologie fordern. Zweifelsfrei sind diese Vorschläge wertvoll. In einer Zeit, wo der Konsumwunsch kein Halt kennt, ist der Ruf nach weniger Konsum ein Schlag gegen die Konsumsucht. Natürlich müssen Muslime muslimisch leben und sich darum bemühen Technologien für die eigenen Bedürfnisse zu produzieren. Solche Vorschläge sind gemeinsam mit der zivilisatorischen Entwicklung sinnvoll. Bemühungen sich aus der Welt auszugrenzen, wofür es in der islamischen Welt genug Beispiele gibt, bergen die Gefahr in die Arme von radikalen Strömungen, die Terror als Methode betrachten, geschleudert zu werden. Zumal sich die islamische Welt nicht wegen überhöhten Konsum in ihrer derzeitige Lage befindet. Auch ist nicht versucht worden weniger Technologie zu benutzen. Zur Zeit der Osmanen gab es bis zum Balta Hafenabkommen von 1838 Begrenzungen und Verbote bezüglich der Einfuhr von ausländischen Gütern. Der passive Widerstand von Gandhi in Indien und die Technologie ablehnende Haltung der Amisch in den USA ist bekannt. Wenn wir von neuen Potentialen reden kann der Vorschlag zum welt- und zivilisationsfremden Leben keine Alternative sein. Diese Methoden werden die kapitalistische Produktionsform schwächeln. Aber der Kapitalist wird die Hegemonie des Westens, die morgen in anderen Händen sein kann, nicht aufheben.
Technologieangst, -feindlichkeit
Bedenken gegen Technologie kann im Rahmen oben aufgeführter Begrenzungen verständlich sein.
Darüber hinaus kann Technologie-Ablehnung Ausdruck von mangelnden Selbstvertrauen sein. Ferner ist die Technologieangst mit einer Furcht verbunden, die davon ausgeht, dass eine humanere Technologie nicht hergestellt werden kann. Letztendlich sind die Bedrohungen, Risiken, die von Technologie ausgehen, und Ängste vor einem Weltuntergang, die die Technologie bringen könnten, nicht nur bei uns vorhanden. Wichtig ist die Haltung, die gegenüber der Technologie eingenommen werden muss. Intellektuell vermag es gegenüber der Technologie eine gänzlich ablehnende Haltung einzunehmen sehr einladend wirken. Aber gegenüber dem umsetzbaren etwas fiktives als Lösung vorzuschlagen wird mögliche Lösungen aufheben und dem Abgelehnten mehr Nachfrage und Ausdehnung bringen.
Sie hörten eine Bewertung von Prof. Dr. Kudret BÜLBÜL, dem Dekan der Fakultät für Politische Wissenschaft an der Yıldırım Beyazıt Universität in Ankara.